Nach 10 Tagen in der Roten Stadt, der längsten Pause auf unserer Reise bis anhin, satteln wir am 3. Oktober wieder unsere Velos und schlagen ausgerüstet mit 1kg Knorrsuppe und anderen Schweizer Feinigkeiten einen südlichen Kurs ein.
Noch einmal überqueren wir den Hohen Atlas über den Tizi-n-Test und rauschen darauf in die Sous-Ebene und nach Taroudant, lassen Agadir rechts leigen und erreichen bei Sidi Ifni wieder den Atlantik. Die Passstrasse über den Anti-Atlas nach Guelmim fordert einmal mehr das äusserste, und wir sind totmüde als wir 40km nach der Garnissonstadt unser Zelt aufschlagen.
Plötzlich verdunkelt sich der Himmel, der Wind nimmt zu – es sieht nach Gewitter aus. Schnell verstauen wir alles im Zelt und Sekunden später tobt ein übler Sandsturm. Zum Glück ist das Zelt gut abgespannt, doch der Sand dringt überall ein, alles ist voll: Schlafsäcke, Kleider, Schuhe, Packtaschen, Ohren, Nasen, wir. Nach einer Viertelstunde hat das Ganze ein Ende. Wir wagen uns wieder nach draussen, ausser dem Sand überall sind wir glimpflich davon gekommen. Da die Lage sich zu stabilisieren scheint, reinigen wir alles so gut wie möglich, stellen das Zelt noch besser auf und machen uns ans Kochen. Kaum ist die Mahlzeit bereit, kommt ein neuer Wind auf. Gewappnet kriechen wir ins Innenzelt, verschliessen alle Luken und Lüftungen und fühlen uns sicher in unserem Zelt, so dass wir unser Linsengericht in vollen Zügen geniessen – schliesslich hat man nach 110km Velofahren schon Hunger. Doch der Sturm geht dieses Mal nicht vorbei, es tobt draussen und oh Schreck, die Windrichtung hat gedreht! Nun bietet unser Tunnelzelt die volle Angriffsfläche. Die Zeltstangen biegen sich bis auf den Boden, die Heringe werden aus der Erde gerissen und fliegen durch die Luft. Wir stemmen uns mit ganzer Kraft in den Boden und versuchen das Zelt festzuhalten, werden immer wieder vom Sturm in die Luft gehoben und wissen: das ist zu viel, für das Zelt, für uns, wir müssen hier raus, und zwar so schnell es nur geht. Zwischen den Sturmspitzen verpacken wir Schlafsäcke, Kleider, Küche und viel viel Sand. Als wir das Zelt abbrechen trifft uns eine erneute Böe und schlägt das Aussenzelt über einen Hering – chsst, das Geräusch von reissendem Stoff, aber wir haben jetzt keine Zeit daran zu denken, sondern sammeln was der Wind noch nicht davon getragen hat und schlagen uns zurück zur Strasse.
Kaum auf der Strasse hält ein Autofahrer und entscheidet, dass er uns zurück nach Guelmim nimmt. Wir wehren uns schwach, unglaublich froh über das Angebot, doch wo sollen zwei vollbepackte Velos und zwei dreckige Leute in einem normalen PW Platz finden? Für einen Marokkaner kein Problem: Türen auf, alles rein, Türen zu und ab die Post.
Vor einem noblen Hotel hält er an, wartet bis wir ein Zimmer haben und lädt uns ab. Erst jetzt im Licht sehen wir das Desaster: überall Sand und Staub. Wir sind dreckig von Kopf bis Fuss, schaffen es unter die Dusche und fallen erschöpft und erledigt ins Bett, das Herz schlägt noch immer wie wild.
Am nächsten Tag ist die Betroffenheit gross: das Aussenzelt ist mitten entzwei gerissen, Iris’ Velohelm, die Kartentasche und diverse Heringe sind fort. Ist das jetzt das Ende der Reise? Ein Schuss vor den Bug vom Schicksal? So können wir nicht weiterreisen, ohne Zelt durch die Wüste?! Das geht nicht, wir sind darauf angewiesen. So bringen wir es zu einem Näher, der die zwei Hälfte wieder zu einem ganzen zusammen fügt – das hält nie und nimmer! Wir gehen ins Internet, suchen Flüge nach Zürich heraus. Aber eigentlich wollen wir das auch nicht: einfach so heimfliegen. Also wieder zum Zelt, die Naht verkleben wir mit unserem super Klebeband – nun scheints stabiler, das sollte temporär halten. Wieder ins Internet, telefonieren in Schweizer Outdoorgeschäfte und werden fündig: SK-Motoparts hat ein Andromedazelt an Lager und schickt es uns sogar Post Restante nach Nouakchott.
So wagen wir uns mit unserem geflickten Zelt weiter südlich, ein weiteres Abenteuer steht bevor. Abends bangen wir im Zelt: wie viele Nächte macht es noch mit? Wir streichen jedes Mal eine überstandene Nacht erleichtert ab. Tagsüber sind wir glücklich über den Rückenwind, nachts gäbten wir alles dafür, dass der Wind ebenfalls zur Ruhe käme.
11 Tage lang folgen wir der Küste nach Westen und Süden, lassen uns oft vom Wind stossen und kurbeln so grosse Tagesdistanzen wie noch nie. Zwischen Laayoune und Nouadhibou fahren wir durchschnittlich über 130km am Tag.
Nach einen unspektakulären Grenzübertritt finden wir uns wieder in der zweitgrössten mauretanischen Stadt, Nouadhibou, und mitten im chaotischen Abendverkehr: Autos (Autos? Naja, Klapperkisten auf meist vier Rädern, die erstaunlicherweise fahren) überholen rechts und links, ein riesiges Gehupe und wir sollten ja auch noch eine Bleibe finden. Die zwei Ruhetage bringen gar nicht so viel Ruhe, sondern vor allem Stress, teure Einkäufe und verschwundene Banknoten beim Schwarzmarktwechsel. Danach nehmen wir das letzte Drittel der Wüstenetappe unter die Räder, Tom wird in der ersten Nacht krank: wieder diese Oben-und-unten-raus-Geschichte, Iris nimmt ihn für zwei Tage in Schlepptau und nach weiteren zwei Tagen ist Tom genesen und wir in Nouakchott, der mauretanischen Hauptstadt.
Die Wüstenetappe war hart, öd, sandig, langweilig. Ohne Stolz, Ehrgeiz und Rückenwind für uns wohl nicht machbar.
Was sind wir nun froh, in der Auberge Sahara eine Oase der Ruhe zu finden, wo man Reisende trifft, sich willkommen fühlt und eine Küche zur Verfügung hat. Ja, und auf der Hauptpost warten wieder einmal eine Menge Pakete auf uns: ein neues Zelt ist angekommen und ein ganzes Paket voller Schweizer Käse und Fondue, das wir unter den neidigen Augen (und Nasen) der anderen Gäste noch am selben Abend verspeisen – isch guet und git ä gueti Lune!
Wir haben wieder Abenteuer- und Reiselust und freuen uns auf Senegal und Gambia. Die Entscheidung weiterzureisen war richtig und gut!
Western Sahara
Fantastic reports und pictures
keiner