Sind es wirklich schon wieder vier Wochen, seid wir in Boumalne Stunden im Internetcafé verbrieten, um einen Bericht zu schreiben? Die Agenda bestätigt dies und so machen wir uns wieder dahinter.
Eigentlich wollen wir nur zwei Ruhetage in Boumalne einlegen, doch wie das Schicksal es so will, lernen wir Faska, einen Café-Restaurant-Besitzer und Konditor, kennen. Es geht soweit, dass wir seine Backstube benützen dürfen um Zopf und Schoggikuchen zu backen. Abends werden wir zum Abschluss zu einem äusserst feinen selbstgemachten Couscous eingeladen.
Endlich wieder im Sattel und mit viel Rückenwind rasen wir über die Strasse der Kasbahs nach Ouarzazate, das wir nach 127km bereits am Mittag erreichen. Doch die Strecke über den Tizi-n-Tinififft nach Agdz verläuft in der entgegengesetzten Richtung und wir büssen mit Gegenwind für das schnelle Vorankommen am Vortag. Wo bleibt das bald fünfmonatige Training? Es wird auf die Zähne gebissen, gekämpft gegen Wind, Demotivation und Heimweh – doch die Energie fehlt. Tränen fliessen, Gefühle des Versagens kommen hoch und wir überlegen uns ernsthaft, den Bus richtung Marrakesch zu nehmen und von dort in die Schweiz zurück zu kehren. Wir haben genug von der Reiserei, der ewigen Anstrengung, vom Leben als Radnomaden. Wir wollen wieder einmal irgendwo daheim sein, Freunde und Familie treffen, bei der Arbeit gefordert werden. Doch ist es da, "in the middle of nowhere", wirklich sinnvoll umzukehren? Oder sollen wir nicht wenigstens bis nach Agdz fahren, uns auf dem schön beschriebenen Camping erholen, den Suq besuchen und dann den Bus zurück nach Marrakesch nehmen? Wir entscheiden uns für die etwas überlegtere Variante. Ein schon vollbeladener Lastwagen, der uns mit Sack und Pack einige Kilometer auf seiner Kiesladung mitfahren lässt, rettet unsere Moral, so dass wir doch noch Agdz erreichen. Auf dem Camping treffen wir seit Monaten wieder einmal auf Radtouristen. Wir geniessen den Erfahrungsaustausch mit den Oesterreichern und werden bestärkt, weiter zu machen. Noch immer unentschlossen beschliessen wir, bis Marrakesch mit dem endgültigen Entscheid zu warten. Wie wir uns wohl entscheiden werden?
So radeln wir weiter durch die Flussoase des Drâatals, wo die ersten Datteln geerntet werden und erreichen Zagora bei hohen Temperaturen. Dort entscheiden wir uns für den Wüstentrek, bei dem auch Hampi und Mamfred dabei sein können. Nach einer Fahrt mit dem Sammeltaxi und dem ersten Kontakt mit der Sandwüste bei M'Hamid treffen wir unseren Führer Youssef; Hampi und Mamfred werden oben auf die Lastdromedare gebunden und wortlos wie ein knurrliger Bergführer eilt Youssef davon in die Wüste, wir hintendrein. Vier Tage lang trotzen wir Sonne und Wind, marschieren täglich sechs Stunden Richtung Westen über Kieselflächen, zwischen Sanddünen und um Akazien herum; jeweils am Mittag rasten wir drei Stunden im Schatten einer Tamariske oder Palme. Mit dem Sonnenuntergang machen wir Halt, Youssef bekocht uns, bäckt Brot im Sand und wir geniessen die totale Ruhe unter dem mondlosen Wüstensternenhimmel.
Mit der ersten Mondsichel beginnt der Ramadan, wir verabschieden uns von unserem wackeren Beduinen und satteln wieder um auf unsere Drahtkamele. In zwei Tagen schaffen wir nur 100km über manchmal haarsträubende Kieselpisten, stossen fluchend die Velos durch den weichen Sand oder flicken bei Sonnenaufgang einen Plattfuss – kein Wunder wenn man am Vortag im Schatten einer stachligen Akazie Halt gemacht hat... Ziemlich erledigt und mit offenen Hintern kommen wir am 15. 9. in Foum-Zguid an. Iris schwört einmal mehr, nie wieder Piste in Marokko zu fahren!
Ja, eben eigentlich dürfen wir uns ja nicht über Plattfüsse beklagen: unsere beiden stolzen Fahrräder haben die 7000km bis Marrakesch ohne Murren und Ächzen mitgemacht, auch wenn Hampi und Mamfred Grund genug gehabt hätten, einmal bockig zu sein. Aber nein, in den ganzen fünf Monaten gabs nur je einen Plattfuss (!), die Reifen sehen noch aus wie neu und um unsere Rohloffnabe sind wir sehr froh: sei es im chaotischen Ramadanverkehr in Marrakesch oder bei der Überquerung des Tizi-n-Ouano, die Rohloff schaltet immer zuverlässig. Kein Kettenspanner, in dem sich Plastiktüten verfangen können, keine Dreckansammlung im Wechsler, mit wenig Verschleiss von Ritzel und Zahnkranz – super! Auch sonst sind unsere Räder eine robuste Sache: ausser einer gebrochenen Flaschenhalterung und zahlreichen Lackschäden gibts keine Verluste zu beklagen. Hier in Marrakesch haben wir die Lackschäden überpinseln lassen, eine Acht in Hampis Hinterrad zentriert und wieder mal unsere noch immer saumässig harten Brooks-Sättel gefettet – Insch Allah, werden sie eines Tages weich werden…
Nach der Wüste geniessen wir es, auf Asphalt von Foum-Zguid nach Tazenakt zu fahren; bei der Mittagspause werden wir von einer Mädchengruppe besucht, wo für einmal Tom abseits steht, Iris Bilder zeigt, die Namen von Körperteilen auf Arabisch lernt, nach Namen und Alter fragt und trotz Ramadan Datteln verteilt.
In Tazenakt feiern wir Toms 30. Geburtstag in unserem Hotelzimmer. Abends werden wir von Omar spontan auf der Strasse zum Fastenbrechen zu sich nach Hause eingeladen. Einmal mehr sind wir über die grosszügige Gastfreundschaft überrascht und erhalten so Einblick ins traditionelle F'tour. Tja, der Ramadan erschwert vieles: Cafés und Restaurants haben tagsüber geschlossen, die Läden öffnen um die Mittagszeit, Brot gibts erst am Nachmittag, und Alles geht etwas langsamer. Dafür spürt man kurz vor dem F'tour (Fastenbrechen) eine Euphorie auf der Strasse und kaum ist der Mond sichtbar, ruft der Muezzin und das Leben beginnt.
Von Tazenakt geht es hoch zum Pass Tizi-n-Tichka und weiter Richtung Marrakesch. Zum ersten Mal werden wir von einem Wildzeltplatz vertrieben, alles muss abgebrochen und an einen von der Strasse nicht sichtbaren Platz gezügelt werden. Wir müssen wohl keine Details über unseren Missmut liefern… Die Abfahrt vom Tizi-n-Tichka ist geschwindigkeitsmässig genial und landschaftlich grandios. Auch der Wind bläst von der richtigen Seite, so dass wir schneller als erwartet in Marrakesch eintreffen. Froh um unsere luxuriöse Wohnung geniessen wir es, eine Woche Ruhe zu haben, im Pool zu planschen und in der Küche Apfelwähe oder Zopf zu backen. Auf der Hauptpost erwarten uns zahlreiche Sendungen aus der Schweiz, und Tom darf alle Päckli auspacken: selbstgemachte Confi, Stocki Express aus Schweizer Kartoffel, sogar einen Schoggikuchen hat es dabei! Uns geht es gut!
Eine Woche Marrakech ist schnell mit Ausruhen, Veloservice und Sightseeing verbracht, so dass wir noch ein paar Tage ein Hotelzimmer mitten in der Medina nehmen. Wir geniessen die engen Gassen, die Hektik vor dem F'tour und sind beeindruckt vom wunderbaren Palais Bahia.
Und nun, liebe Leser und Leserinnen, seid ihr bestimmt gespannt, wie es mit uns und unserer Reise weitergeht… Es war ein langer emotionaler Prozess und eine schwierige Entscheidung. Doch am Schluss waren wir uns einig: wir reisen weiter. Wir stehen vor der Tür unseres grossen Zieles – Westafrika. Da können und wollen wir nicht zurück, die Neugier auf diesen Teil Afrikas ist noch grösser als der Reiz, in die gute alte Schweiz heimzukehren. So treffen wir nun die letzten Vorbereitungen, informieren uns tüchtig über die Überschwemmungen und werden das nächste Mal – Insch Allah – aus Mauretanien berichten.
En liebe Gruss
Tom und Iris
salamaleikum iris und tom!
Laura vo Tazenakt
ä sonnebrölle chani momentan e nöd bruche idem näbel:o((
Grüsse vom Herbst
Ich freue mich über Euren Bericht, und natürlich dass es weiter geht mit der Reise. Jupiee. Irgendwann werde ich auch eine grössere Reise tun müssen, denke ich jedesmal bei der Lektüre Eurer Berichte. Lange habe ich «planget» für den Marokko II Bericht. Freue mich auf heute Abend, die Bilder etwas detaillierter ansehen zu können. mfg, dave