Marokko Teil I

Auf der Terrasse unserer Unterkunft mit Blick in die Dades-Schlucht, feiner Kaffee und Guetzli, erfrischt von einem Bad im Pool und mit der Aussicht auf ein excellentes Dreigangmenu zum Znacht, lassen wir die letzten drei Wochen seit Sevilla Revue passieren und machen uns ans Berichteschreiben.

Marokko 

Dreieinhalb Wochen ist es  her, dass wir Sevilla verlassen wollten. Doch in unserer letzten Nacht erkrankt Tom – so eine Magendarmgeschichte. Wir hängen einen extra Ruhetag an und entscheiden am nächsten Tag, den Bus nach Algeciras zu nehmen. Die Temperaturen sind noch bei 40 Grad, Tom rekonvaleszent und so legen wir die knapp 200 km im klimatisierten Bus zurück.

Gespannt warten wir auf das Nachschubpäckchen mit Führerliteratur, Kartenmaterial, Basler Leckerli und Knorr Minestrone... Als es am 8. August eintrifft, packen wir unsere sieben Sachen und fahren nervös mit der Schnellfähre nach Ceuta, von wo wir wenig später marokkanisches Territorium betreten. Die Grenzformalitäten werden für uns Velofahrer ganz ohne Probleme abgewickelt.

Mit dem Grenzübertritt ändert sich vieles: Frauen sind nur noch verhüllt, Autos überfüllt mit Mensch, Tier und Gegenständen und gefahren wird ebenfalls etwas anders. Ist das jetzt Afrika? Nein! Wie uns dann alle 4x4-Fahrer unterwegs sagen werden, sei Marokko natürlich Europa, da es hier Coca Cola und Tankstellen gäbe; Afrika komme erst weiter im Süden. Und in Afrika, liebe Leserschaft, das wissen wir seit der Schweiz, in Afrika wird ja alles noch viel schlimmer werden!

Erste Begegnungen

Bereits am zweiten Tag gelangen wir nach Chefchaouen, dem blauen Dorf. Nach dem wir auch noch die letzten Höhenmeter bis zum Zeltplatz geschafft haben, wagen wir uns in die Medina und erhalten so die ersten Eindrücke einer marokkanischen Stadt. Die Fahrt geht weiter durchs arme Rifgebirge, wo Bauernfamilien an den kargen Berghängen ihre Existenz fristen: das Wasser wird mit den Mauleseln kilometerweit hergeholt und der Abfall bedeckt ganze Talflanken.

Die vielen Eindrücke, kulturellen Unterschiede, die weiterhin anhaltend hohen Temperaturen und oft anstrengenden Bergetappen benötigen von Neuem viel Energie. Beim Reisen beginnt man im jeden Land wieder von vorne – zwar freuen wir uns jeweils aufs unbekannte Land, doch muss der Alltag wieder gelernt werden: wo und wann gibt es Brot? Wie kleidet man sich richtig, dürfen wir beispielsweise noch in Radlerhose fahren? Iris’ nackte Beine werden oft angestarrt, so dass vor Dörfern ein Halt eingeschaltet werden muss, um die langen Hosen zu montieren. Rückblickend können wir auch schon wieder lachen über unsere anfängliche Unsicherheit: beminirockte Amitussis, Hotpants im Landrover und als Gipfel der Unsensibilitäten das scharfe Paar, das auf Quads durch den Atlas braust, er mit nackigem Bierbauch, sie im Tarnanzugbikini – so schlimm können unsere Shorts nicht gewesen sein.

In solchen Momenten der Unsicherheit sind Begegnungen wie die folgende ein richtiger Aufsteller: als Mamfred bei km 5200 im Hinterrad sein erstes Loch hat, kommen uns zwei Burschen zu Hilfe und nehmen Tom das Zepter aus der Hand. Nach dem fünften Flick und vier weiteren Löchern wird dann doch ein neuer Schlauch eingesetzt. Woher die vielen Löcher stammen, bleibt bis heute ein Rätsel. Nach getaner Arbeit gibts eine kameradschaftliche Verabschiedung und jeder geht seines Weges.

Königsstadt Fès

Fès, wo wir vom 12. bis am 16. August bleiben, ist eine faszinierende Herausforderung für uns: Nach der blanken Armut auf dem Land gibt es hier das ganze Spektrum von sehr arm bis zu der europäisch orientiertiert Oberschicht.

Mit Velo, Sack und Pack wagen wir uns in die Medina, ein Abenteuer für sich – don’t try this at home, kidz! Enge Gassen, rauchende Garküchen, schreiende Maultiertreiber und die natürlich überall lauernden faux Guides, die Teppichhändler und die Gerbereien, die Teehäuser und die Ladenbesitzer – wir lassen uns vom Treiben mitreissen und folgen dem Menschenstrom ohne zu wissen wohin er uns führt... Stunden später sind wir froh, unversehrt vor dem Hotel zu stehen. Die Eindrücke sind so dicht, alle Sinne beanspruchend, dass wir die Königsstadt reich beschenkt aber kaum erholt verlassen.

Pistenfahrt über den mittleren und hohen Atlas

Nach der Hitze der Stadt bringt uns der mittlere Atlas willkommene kühle Luft, wir brauchen sogar wieder unsere Schlafsäcke. Bei Azrou sehen wir zwischen Eichen- und Zedernwäldern die Rifaffen und erleben die berühmte marokkanische Gastfreundschaft beim Teetrinken. Nach anstrengender Fahrt über Hochebenen und durch Berbersiedlungen erreichen wir Midelt zwischen dem mittleren und hohen Atlas.

Je ärmer und abgelegener die Gegend, desto öfter wird die Velofahrt zum eigentlichen Spiessrutenlauf: Die Kinder laufen von weit her, sobald der erster Späher uns entdeckt hat, die Strasse wird gesperrt, „M’sieur, M’sieur donnez-moi un stylo, un cadeau, un dirham, un bonbon, stylo, stylo, M’sieur donnez-moi quelque chose!“ Das Betteln ist zum Teil sehr agressiv, mehr als einmal fliegen Steine, auf der Piste nach Imilchil hält ein Mädchen den Arm fest, der Lenker stellt sich quer, bummtätsch und Tom liegt am Boden. Ausser ein paar Schrammen passiert zum Glück nichts und als positiver Nebeneffekt verstieben die kleinen Plagegeistern hinter Maisstauden und Häuserecken. Häufiger ist die Bettelei aber auch ein Spiel, vielleicht ein bisschen Rache der Armen an den Privilegierten, und die Treibjagd endet, wenn wir anhalten und ein bisschen schwatzen, die Räder zeigen oder sogar eine Probefahrt offerieren. Bei Msemrir im Dadestal besuchen uns drei Buben, bestaunen Wasserfilter und Benzinkocher, helfen beim Veloservice, kommen später mit Äpfeln und Gschwellti und wir teilen Datteln und Brot mit ihnen. 

In Midelt machen uns zwei Franzosen auf den Cirque de Jaffar gluschtig und versichern uns, die Piste sei mit dem Bike kein Problem. Der Reiz ist grösser als die Vernunft und so wagen wir uns auf die Piste nach Imilchil. Allerdings haben die beiden uns nicht die ganze Wahrheit gesagt: wohl ist die Strecke einzigartig und die Szenerie atemberaubend, die Piste aber ist teilweise kaputt und sonst oft in äusserst schlechtem Zustand. Sie führt uns über Stock und Stein, durch Bäche, die Velos werden auf- und abwärts gestossen. Es wird geflucht, Tränen fliessen und Mamfred und Hampi haben zeitweise die selbe rotbraune Farbe. Wir kommen so ziemlich an unsere Grenzen.

Doch in Imilchil belohnt uns ein wunderschöner Wildzeltplatz für die Strapazen, und wir schalten zwei Ruhetage am glasklaren Tislisee auf 2200m ein. Mittlerweile sind wir schon erfahrene Wildzeltler geworden. Das Wasser wird seit Midelt konsequent gefiltert, sei es aus See, Bach oder Brunnen. Notfallsäckli für Übelkeit gehört im Zelt zum Standard, WC-Papierrollen sind immer an Lager und griffbereit – so ist auch bei unserem wirklich unhygienischen Reisestil für etwas Sauberkeit gesorgt. Ja, ja, schon richtig verstanden: wir haben schon alles gehabt, tagelangen wässrigen Durchfall, von Erbrechen geplagte Nächte... Doch nach einer fünftägigen Antibiotikumkur ist der Durchfall wieder weg und ein gut gekochtes Gemüsesüppli beruhigt den rebellierenden Magen. Man wird so ein bisschen kreativ und unkompliziert und hilft einander, wo man kann. 

Item. In Imilchil gibt es wieder Gespräche über Pistenverhältnisse mit ortskundigen Männern. „Die 60 km Piste über Agoudal in die Gorges du Dades sind problemlos, zum Pass steigt es angenehm auf 2700m an, die Abfahrt ins Tal auf guter Naturstrasse.“ Eigentlich sollte man bei so vielen Versprechen hellhörig werden... Tatsache ist: zum Pass geht es auf teilweiser holpriger und sehr steiler Piste auf 2900m, die Abfahrt auf Geröll und Fels ist fast noch anstrengender als der Aufstieg. Abends sind wir total erledigt. Solche Tage sind des Guten zuviel, da kann auch die landschaftliche Schönheit nicht mehr genossen werden!

Doch wir lernen: am nächsten Tag fahren wir gemütliche 35km auf Asphalt, machen zwei Einkehrstopps und halten vor der Luxusauberge Chez Pierre. Zimmer mit eigener Terrasse, WC und Dusche, Pool und super feines Essen. Da es so schön ist, verlängern wir für eine zweite Nacht und kommen uns vor wie kleine Fürsten. So wird das Reisen zum Genuss. 

Vielen Dank für all eure Emails, Gästebucheinträge, Kommentare und SMS. Wir freuen uns ab jeder noch so kleinen Nachricht.

Beslama Iris und Tom

Danke für e Bricht

Sälü zäme Danke für den Bericht. Vorerst reicht es nur, kurz zu überfliegen, bin eben erst zu Hause angekommen. Freue mich schon auf die ausführlichere Lesung. ~Sarinefahrer

abenteuer

Sehr schöner Bericht über eure Strapazen und Abenteuer die dann auch mit vielen neuen Eindrücken belohnt werden. Ein verdienter Aufenthalt im Chez Pierre ist bestimmt nochmal schöner wenn man so ankommt wie ihr, anstatt in nem Jeep oder Quad anzubrausen.